Ella und Matej: You Don't Belong Here... [ZWANGSCUT]

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Kai.
Gelöschter Benutzer

Ella und Matej: You Don't Belong Here... [ZWANGSCUT]

von Kai. am 27.05.2021 15:21

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{Ein lauer Sommerabend, New York City. Kaum ein Läuftchen geht und die meisten Menschen nutzen die Zeit lieber für eine ausgiebige Pause von den heißen Tagen des Tages, wenn es nun am Abend wenigstens etwas auffrischte. Doch in diesem Haus haben die Menschen ganz andere Sorgen: Etwas außerhalb von Brooklyn liegt die Villa d'Este. Das Personal hier hat sich der Heilung und dem Schutz seelischer Kranker verschrieben und kümmert im Grunde sehr herzlich um sich - doch was, wenn man eigentlich gar nicht hier her gehört? Ein Schicksal, das die zwei Seelen, die hier aufeinander treffen sollen, im Herzen miteinander teilen...}

Antworten Zuletzt bearbeitet am 15.05.2022 12:28.

Kai.
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Kai. am 27.05.2021 16:04

Und wie fühlen Sie sich dabei, wenn Sie es sich durchdenken... ‚Ich bin nicht von hier, ich stamme aus einer anderen Zeit'...?
Ich seufzte leicht und warf Mr. Snyder einen Blick zu. Ich war tief in meinem Stuhl gesunken, hatte mich regelrecht in dem großen Lehnsessel mit den bequemen Armlehnen verloren, seit er mich vor etwas mehr als einer Viertelstunde eingelassen hatte. Und bisher war mein allnachmittäglicher Termin wie immer verlaufen. Er hatte mich nach Fortschritten gefragt, wie sehr ich die Wirklichkeit um mich herum bereits akzeptiert hatte. Aber...was sollte man akzeptieren, wenn man die Wahrheit sagte? Wie oft ich ihm das bereits versichert hatte, doch auf der anderen Seite...er hatte schon recht; es klang ausgeflippt, wenn man einfach auf der Straße stand und meinte, man wäre nicht von hier. Und auch wenn es meine Wahrheit war, es klang auch nach einem dicken fetten Psychose mit deutlichen Anzeichen von beinahe komplettem Realitätsverlust.
Er musterte mich von seinem noch sehr viel imposanteren Stuhl aus und forderte sich stillschweigend eine Antwort ein, die er mir genauso gut auch von den Augen ablesen könnte – doch er wollte sich nicht ganz und gar darauf verlassen. Einen Menschen zu lesen, brachte ihm gar nichts. Es war von sehr viel größerem Nutzen, wenn er die Menschen dazu bewegen konnte, dass sie gewisse Dinge einfach laut aussprachen – denn so hörten sie sie selbst und hatten es nicht nur mit Gespinsten zu tun, die ihnen durch den Kopf jagten. Ja ja, nur weil die ich die meiste Zeit meines Lebens eher dürftige Schulbildung genossen hatte, was ich nicht dumm – und ich hatte selbst eine kleine Leidenschaft für Psychologisches. Doch ich maß es mir dennoch nicht an, ihm klar und deutlich zu widersprechen – ich versuchte lieber, die Sache zu umschiffen. Aber auch das war immer so eine Sache. Immerhin steuerte er die Gespräche auf bestimmte Ziele hin – und es wurde nicht besser für mich, wenn ich nicht das tat, was man in seinen Augen als einen Fortschritt bezeichnen könnte.
Ich seufzte wieder. „Nichts", sagte ich nur und zuckte mit den Schultern, vermied direkten Blickkontakt. Mit solchen Dingen konnte er einen brechen – dieses Talent hatte er ganz klar. Er war kein schlechter Psychiater, das wollte ich gar nicht sagen, auch nicht, dass er den Menschen etwas schlechtes wollte (im Gegenteil), aber er hatte so etwas an sich, das ließ einen um ihn herum einfach schwach werden. Und dabei sprach ich nicht von äußeren Reizen, sondern von seiner Ausstrahlung. Perfekt für einen Mann mit einem solchen Beruf, ganz klar.
Ich betrachtete ihn aus dem Augenwinkel, ehe ich mich vorbeugte, um einen Schluck Wasser zu trinken – es Glas stand auf dem hellen kleinen Tisch zwischen uns.
„Mr. Acker", begann er schließlich. „Wenn Sie nicht mit mir sprechen, kann ich Ihnen auch nicht helfen."
„Ja, klar, tut mir leid", erwiderte ich und zog ein Bein wie zu einem halben Schneidersitz unter mich, während ich das andere auf dem Sessel vor mir aufstellte. Er musterte die Beinprothesen, die ein leichtes Klappern von sich gegeben hatten. „Sie sind wahrlich sehr eindrucksvoll." Er suchte meinen Blick, auch wenn ich mich hinter meinem Bein versteckte. „Möchten Sie mir erzählen, wie Sie zu ihnen gekommen sind?" Er hielt die Hände geöffnet in seinem Schoß. Eine Einladung auf einen hoffentlich etwas leichteren Plausch als bisher. „Ehrlich gesagt..." Ich strich mit einem Finger über das glatte und glänzende Metall einer Prothese. „Nicht wirklich." Ich war stolz auf sie, ich liebe sie, meine neuen Beine, und ich war immer wieder aufs Neue fasziniert, was sie leisten konnten und wie stabil und dennoch elastisch und beweglich sie waren – und entsprechend auch mich beweglich und sportlich halten können. Doch die Geschichte, wie ich zu ihnen gekommen war, lag mir nach wie schwerer im Magen und ich plauderte sie ungern aus – erst recht nicht einfach so, gegenüber Fremden, auch wenn es sich dabei um einen Therapeuten handelte. Auf der anderen Seite allerdings...wann bekam man schon mal eine solche Gelegenheit.
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe. „Aber an sich zu arbeiten, bedeutet auch, sich manchmal zu überwinden...", lenkte ich ein und betrachtete sein Gesicht einen Augenblick lang. Er hatte Augenringe, doch seine Augen wirkten scharf und klar, aufmerksam durch und durch. Er hatte einen sehr weiten nach hinten verschobenen Haaransatz und einen schwarzen Schnauzer. Es war kein hässlicher Mann und auch kein alter, doch sein Beruf hatte ihn verändert – er war sehr gefasst und wirkte aufgrund der Reife, die er ausstrahlte so, als wäre er nicht nur zehn, sondern zwanzig bis dreißig Jahre älter als ich. Allerdings war ich die meiste Zeit meines Lebens auch durch und durch das Beispiel für ein freches, verspieltes, lebensmüdes und unverantwortungsvolles Dasein gewesen – also alles andere als reif.
„Dann höre ich Ihnen gern zu..."
Wir sprachen noch eine weitere Stunde miteinander, ehe er uns sachte wieder in die Realität zurückbrachte. Er bedankte sich und verabschiedete sich bis zum nächste Nachmittag. Und ich musste ehrlich gestehen, dass ich mich etwas besser fühlte, befreiter. Ich hatte bisher eher gelernt, anderen nicht zu vertrauen und deshalb die Dinge vor allem in mich selbst verschlossen und gewartet bis sie sich allein erledigt hatten – und es war immer so gewesen, als hätten sie das auch getan. Doch das Gespräch hatte mich gezeigt, das dem gar nicht so war. Ich hatte den Dingen zwar die Luft abgeschlossen und ihnen den Raum genommen, doch sie waren immer da gewesen. So nah war ich den Tränen lange nicht mehr gewesen. Und trotzdem fühlte ich mich sehr gut. Vielleicht würde ich in Zukunft versuchen, zumindest einen Teil meiner Gefühle hier zu lassen, um meine Vergangenheit endlich aufzuarbeiten. Denn es ließ sich nicht leugnen, dass der Tod meiner Mutter und besonders der meiner Schwester immer noch große Brocken auf meinem Herzen waren und mir die Luft zum Atmen immer wieder nahmen, wenn meine Gedanken auch nur in diese Richtung gingen...
Wie eben gerade.
Ich räusperte mich und ging langsam die Treppe nach unten. Lang und edel war sie mit Zierteppich ausgekleidet und machte immer ein dumpfes Geräusch, wenn man darauf trat – vor allem bei mir mit meinen Prothesen. Ein sanfter Wind ging durch die hohe Halle und streichelte meine Haut. Ich seufzte leicht, denn ich war klitschnass geschwitzt und glühte förmlich – Hitze war nichts für mich, sie machte mir nur das Leben schwer, weil ich sowieso ein eher warmer Typ war, der nicht schnell fror...wenn es dann aber noch wärmer wurde, hielt ich es nicht mehr lange aus.
Umso besser, dass es hier klimatisiert war und das Haus sehr passend gebaut war, sodass es nicht so schnell warm wurde.
Im Vorbeigehen konnte ich einige Menschen im Garten sehen – sie wurden von einer Schwester begleitet, die ihnen etwas zu den Pflanzen erklärte. Einige zeichneten, was sie sahen, andere sahen sich um, als wären sie das erste Mal draußen. Wieder andere lachten, kicherten und grinsten über Kleinigkeiten. Dieser Friede könnte jeden Moment umschlagen, doch es war schön, dass er noch einen Moment anhielt. Ich lächelte leicht. Eigentlich war man hier gut aufgehoben, wenn man wirklich mit solchen Dingen zu kämpfen hatte, doch eigentlich war ich ja nicht krank, nicht wirklich. Ich hatte meine Probleme, doch es waren nicht die, wegen denen ich hier war.
Noch immer nachdenklich kaute ich auf meinem Fingernagel herum, als ich ein Geräusch hörte. Nicht irgendein Geräusch, es klang wie ein...Schluchzen. Es schien aus dem Saal zu kommen. Ich folgte dem Klang und mir wurde immer klarer, dass es sich dabei nur um einen weinenden Menschen handeln konnte. Das war hier keine Seltenheit. Doch...der Klang erinnerte mich an etwas.
Im Saal wurde ich schließlich fündig. Normalerweise wurden hier gemeinsam die Mahlzeiten eingenommen – es handelte sich dabei um einen großen Raum mit einem Kronleuchter an der Decke und hohen Fenstern, die über und über mit Blumen bestückt und geschmückt waren, die in den verschiedensten Farben blühten und strahlten. An einem runden Tisch etwas abseits neben einer groß gewachsenen Palme saß ein blondes Mädchen an einem Tisch.
Vorsichtig näherte ich mich ihr. Ich räusperte mich, als ich schließlich an dem Tisch mit der geweißten Tischplatte aus Holz angekommen war. „Entschuldigung...kann ich dir helfen...?", fragte ich sie und musterte sie mit leicht schief gelegtem Kopf und gerunzelter Stirn; ich hatte immer noch nicht ganz raus, woran es mich erinnerte, sie hier so weinen zu sehen, doch es weckte etwas in mir. Nicht dass ich sie nicht angesprochen hätte, wenn es nicht so gewesen wäre, aber...es beeinflusste stark wie sehr es mich mitnahm, sie hier weinen und schluchzen zu sehen – ich hatte starkes Mitleid und brannte in meinem Bauch und schmerzte im Herzen sie so zu sehen.
„Darf ich mich zu dir setzen?", fragte ich sie schließlich. Ich konnte sie hier nicht einfach so allein zu lassen. So schwer ich mich normalerweise mit den Gefühlen anderer – und fast noch schlimmer mit meinen eigenen – tat, so wenig wollte ich sie weinen sehen.

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Ella
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Ella am 05.06.2021 16:22

Ich wusste wirklich nicht was ich hier verloren haben sollte.. in diesem Haus.. Ja man wollte mir nur helfen und meinte es ja nur gut - alle hatten ja immer nur das Beste für einen im Sinn! Aber was war denn wenn es gar keinen Grund dafür gab, dass man eingewiesen worden war, außer das man Dinge erzählte die anderen nicht in den Kram passten?! Dabei hatte ich in meinem ganzen Leben noch niemals gelogen, warum sollte ich das auch tun? 'Aber solange ich mit niemandem Sprach konnte mir eben niemand helfen', wie oft ich diesen Satz von Dr. Stevens bereits gehört hatte, konnte ich gar nicht mehr zählen.. aber sonderlich viel Vertrauen hatte ich in das Personal hier nicht. Was nicht deren Fehler war, denn sie alle gaben sich wirklich die größte Mühe - was ich durchaus anerkannte aber.. in meinem Hinterkopf war immer der Gedanke daran, dass man mir ohnehin nicht glauben würde. Und außerdem redete ich wirklich nicht gerne - besonders nicht über mich! - aber auch generell war ich sehr zurückhaltend und hörte anderen lieber zu. Aber genau darin lag ja das Problem, nicht wahr? Denn ich sollte nicht zuhören, ich sollte meiner Psychologin etwas erzählen. Also hatte ich genau das getan, hatte berichtet wie ich aufgewachsen war und wie ich meine Kindheit erlebt hatte. Damit, das mich diese Erzählung so aus der Bahn werfen würde, hatte ich wirklich nicht gerechnet.. gut vielleicht lag das einfach nur an der Erinnerung an unbeschwerte Zeiten. Dr. Stevens schien jedenfalls für's erste zufrieden zu sein und ich hatte wieder gehen dürfen, nachdem sie mir gesagt hatte, sie sei Stolz auf meine Fortschritte. Daraufhin hatte ich ihr lächelnd gedankt und mich bis zum nächsten Termin verabschiedet.
Dann war ich zur Musiktherapie gegangen und schon da war mir aufgefallen, dass ich heute wohl einen schlechten Tag erwischt hatte.. emotional gesehen zumindest. Denn es war auch einfach aufwühlend, wenn man nur wegen der Lügen anderer an einem Ort fest saß an dem Mann so ungefähr null Komma gar nichts verloren hatte! Ja natürlich hatte ich auf der Straße jemanden 'angefallen' aber es war eine glatte Lüge das es plötzlich und völlig ohne Grund gewesen sei. Zumindest hatte man in der Villa d'Este schnell erkannt das ich weder eine Gefahr für mich und andere darstellte, noch sonderlich gewalttätiges Verhalten an den Tag legte. Und so wollte man von mir eigentlich nur noch den Grund für den Angriff erfahren - Klang doch ganz einfach, oder? In der Theorie definitiv! In der Praxis jedoch.. wenn man ohnehin schon so seine Schwierigkeiten hatte anderen zu Vertrauen dann machten die Umstände meiner Einlieferung hier es nicht gerade besser!
Und seitdem ich von der Musiktherapie zurück gekehrt war saß ich in dem großen Saal in dem für gewöhnlich die Mahlzeiten statt fanden. Wann die Tränen gekommen waren und wie lange ich überhaupt schon weinend und schluchzend hier gesessen hatte wusste ich schon gar nicht mehr zu sagen.. als mich plötzlich jemand ansprach. Kurz hatte ich Sorge das man mich jetzt gleich zum nächsten Therapeuten schleppen würde und schaute mit dementsprechend erschrockenem Blick auf. Als ich einen meiner "Mitpatienten" erkannte, entspannte ich mich etwas, wusste zunächst aber nicht Recht was ich sagen sollte.. Es war mir etwas peinlich das er mich so vorgefunden hatte und mir dann auch noch helfen wollte. Nachdem ich mir ein wenig über die Augen gewischt hatte, begann ich etwas zögerlich und ziemlich scheu zu Lächeln. "Ich.. ähm ja..", begann ich sehr intelligent und hielt kurz inne um mich selbst zu räuspern. Durch das Weinen hatte meine Stimme doch ein wenig ihr Volumen verloren.. - schließlich setze ich erneut an. "Ja, du darfst dich zu mir setzen. Wenn du das möchtest." Warum auch immer er das sonst hätte Fragen sollen. Man fragte so etwas ja nicht, wenn man sich nicht setzen wollte, oder? Na egal. Kurz runzelte ich nachdenklich die Stirn, er kam mir bekannt vor.. definitiv hatte ich ihn hier schon öfter gesehen. War er schon länger hier gewesen? "Ich bin übrigens Ella. Und wie heißt Du?" Wie ich auf die Frage mit dem Helfen Antworten sollte, wusste ich noch nicht so Recht. Was sollte er schon Tun können? Er war ein Patient wie ich auch.. und dennoch konnte es ja nicht verkehrt sein mit ihm zu sprechen. Es würde keinem von ihnen weh tun. "Wenn du zufällig weißt, wie man es anstellt seinen Mut zusammen zu nehmen und anderen einfach mal zu Vertrauen, kannst du mir helfen. Ansonsten weiß ich nicht so Recht..", gab ich nachdenklich zu.

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Kai.
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Kai. am 04.07.2021 17:02

Ich musterte sie und mein Gesicht war zärtlich geworden. Die Spuren der Tränen auf ihre Gesicht glänzten im strahlenden Licht der nachmittäglichen Sonne.
Und auf einmal erkannte ich, woran sie mich erinnerte, wenn sie hier so saß und vor sich hin weinte...Es war ein Anblick, den ich schon einmal hatte ertragen müssen – auch wenn er von diesem Moment hier noch lange in der Zukunft lag, hatte sich das Bild in meinem Kopf eingebrannt und ich spürte einen Stechen in meiner Brust, mein Magen verkrampfte sich...
Nachdem wir unsere Mutter verloren hatten, hatte Alianna fast einen Monat immer und immer wieder weinend am Küchentisch verbracht – unfähig, sich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit der Tatsache, dass wir nun allein waren. Und alles, was ich getan hatte, um sie auf andere Gedanken zu bringen, war vergeblich gewesen – und ich war irgendwann daran verzweifelt.
Ich schluckte.
Das hier war nicht Alianna und auch wenn sie scheinbar deutliche Probleme hatte, handelte es sich hier nicht um meine Schwester. Das bedeutete allerdings nicht, dass ich sie weniger gern weinen sah.
Ich nahm schließlich Platz, nachdem ich ihre Antwort abgewartet hatte – zog mir den Stuhl hervor, der um die Ecke des viereckigen Tisches neben ihr gelegen war, damit sie nicht dazu gezwungen war, mich die ganze Zeit anzusehen, wenn ich ihr gegenüber saß, und setzte mich dann. Ich legte die Hände in meinen Schoß und betrachtete sie ruhig. „Matej", antwortete ich schließlich mit einem sanften Lächeln. Auch wenn man es mir die meiste Zeit meines Lebens wohl nicht abnehmen würde, wer mich kannte, der wusste, dass ich eigentlich ein sehr fürsorglicher Mensch war. Das ging für die allermeisten nur sehr in meinen waghalsigen und wahnsinnigen Aktionen verloren, mit denen ich – zumindest bevor ich hiergekommen war – meine Freizeit am liebsten verbracht hatte. Am Ende war es jedoch nicht weniger als nur Fassade, um niemandem zeigen zu müssen, was man empfand...und gleichzeitig eine Art, wie man vielleicht doch schnell ein Ende finden könnte aus der grausigen Welt, in die man geboren und aus der man nicht ausbrechen könnte – nicht zuletzt war es also eine Ablenkung in zweierlei Richtung...andere sahen nicht, wie man selbst die Welt sah und man selbst musste sich nicht mit den grausigen Wahrheiten der Realität beschäftigen...
Wow. Meine Anwesenheit hier hatte scheinbar einen gewissen Effekt auf mich. Ich war normalerweise nicht sonderlich gut darin, mein eigenes Verhalten zu ergründen...Ich schüttelte kaum und unmerklich den Kopf. Das war im Moment alles gar nicht wichtig, so sehr es mir auch im Kopf umherging.
„Freut mich, dich kennenzulernen, Ella", entgegnete ich. Ich musste sagen, dass ich sie schon das eine oder andere Mal hier gesehen hatte – speziell zu den Mahlzeiten –, doch ich hatte bisher nur wenig mit ihr zu tun gehabt. Wie eigentlich mit den allermeisten hier. Ich hielt mich sehr zurück, wenn ich ehrlich war. Denn wenn man sich mit der Realität hier zu sehr vertraut machte, hatte ich Angst, irgendwann anzunehmen, was man einem hier vorlebte...dass ich mir alles nur einbildete, aus einem Koma erwacht war, nur zu meinen, er sei aus einer anderen Zeit, um nichts von alledem wahrhaben zu wollen, was ich in meinem Leben bisher hatte durchmachen müssen.
Ich dachte kurz über ihre Worte nach, legte mir einen Moment lang einen Finger ans Kinn. „Vielleicht tue ich das ja", erklärte ich nach einiger Zeit und lehnte mich auf meinem Stuhl etwas zurück, breitete die Arme aus. „Ich denke, das Geheimnis daran ist einfach...dass es einem egal ist, was die anderen davon denken, ob und was man sagt." Ich zuckte mit den Schultern. „Und ich weiß, dass man das so einfach erzählen kann, aber natürlich ist es deshalb nicht leichter. Aber...du hast mich nach einem Vorschlag gefragt..." Ich zuckte wieder mit den Schultern. Vermutlich war ihre Frage am Ende eher rhetorisch gewesen, doch nun hatte ich schon geantwortet. „Also muss ich zugeben, es ist keine sehr sinnvolle Idee." Und es war alles andere als hilfreich gewesen. Natürlich hörte man immer und überall, dass es am leichtesten war, wenn man auf die Meinung aller anderen einen feuchten Dreck gab. Und ich meinte, dass ich darin mittlerweile ganz gut geworden war. Doch sie schien da ganz anders zu sein – so ziemlich das Gegenteil einer solchen Haltung. Sie war fürsorglich und lieb, da war ich mir sicher, deshalb könnte sie niemals einfach jemanden ignorieren...selbst wenn es z u ihrem besten wäre...

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Ella
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Ella am 12.08.2021 03:56

Man konnte mir zumindest nicht vorwerfen das ich mich weigern würde mit zu arbeiten. Oder würde mich gegenüber von meinen Mitpatienten gleichgültig oder uninteressiert zeigen, denn ich ging sowohl zu all meinen Terminen - oder eher Therapien - und ich beteiligte mich auch an Gruppenaktivitäten. Mein Einziger Fehler lag wohl darin das ich - bis heute nicht - nicht über meine Erlebnisse gesprochen hatte. Zu meiner Verteidigung hatte ich aber auch nach Umformulierungen suchen müssen, für Dinge die Außenstehende nicht unbedingt wissen sollten. Denn Dinge zu Wissen, die nicht für einen bestimmt waren, barg immer schon unabsehbare Risiken. Wobei diese Denkweise hier, wo man ihr eigentlich helfen sollte, durchaus bezeichnend für die ganze Tragik ihrer Existenz war. Denn auch wenn ich es jetzt noch nicht wusste: Ich selbst war ein Geheimnis, dass meines leiblichen Vaters. Wenn auch durchaus kein so wohlgehütetes wie er offenbar annahm. Aber was wusste ich schon? Mir war nichteinmal bewusst das ich alles schreckliche was mir bis heute bereits geschehen war, nur deshalb hatte ertragen müssen, weil der Mann den ich für meinen Vater hielt, nichts als ein grausamer, von Rachegelüsten getriebener Narzisst war! Doch damit würde ich mich dann auseinander setzen, wenn diese Wahrheit ans Licht kommen würde. Jetzt im Augenblick war ich mehr damit beschäftigt die Erlebnisse in dem "Internat" irgendwie auf- und zu verarbeiten. Aber war ich denn tatsächlich auch schon so weit, alles offen zu legen? Denn es wäre sicher nichts was selbst die erfahrenen Psychologen jeden Tag zu hören bekamen - ganz davon abgesehen das ich nicht einmal imstande war alles davon zu beschreiben. Und bei Dingen wie Folter und Missbrauch wurden die meisten Leute eben auch hellhörig und tendierten dazu die Strafverfolgungsbehörden hinzu zu ziehen, was definitiv unter "unwillkommener Aufmerksamkeit" zu verstehen wäre. Denn so gesehen war ich noch immer auf der Flucht vor meinen Eltern - oder zumindest vor meinem Vater Edmund... Ob ich meine Mutter tatsächlich nie wieder sehen wollte wusste ich inzwischen selbst nicht mehr so genau. Schließlich hatte sie mir geholfen zu fliehen, zwar reichlich spät aber immerhin...
Aber das war gerade nicht wichtig - nicht das es damit automatisch unwichtig wäre, denn schließlich war es die Ursache vieler meiner aktuellen Probleme und auch Grund vieler schlafloser Nächte - doch, wenn Matej schon so nett war und mir helfen wollte, dann hatte er meine volle Aufmerksamkeit verdient. Weshalb ich die düsteren Überlegungen auch mit aller Entschiedenheit, an den Rand meines Bewusstseins schob und mich ihm sehr interessiert zuwand. Es freute mich sogar in gewisser Weise, dass er sich zu mir setzte. Denn ganz ungeachtet dessen, dass es mit dem Vertrauen so eine Sache war besonders bei Jungs und Männern, lernte ich sehr gerne neue Leute kennen. Wahrscheinlich vor allem deswegen weil mein Personenkontakt in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt gewesen war. "Es freut mich ebenfalls dich kennen zu lernen, Matej.", entgegnete ich mit dem zarten Anflug eines Lächelns.
Seine Worte leuchteten mir durchaus ein und das mit der Taktik, auf die Worte anderer zu pfeifen, darauf was sie möglicherweise dachten und so weiter, hatte ich inzwischen tatsächlich bereits des Öfteren gehört. Aber wie er auch bereits gesagt hatte: manchmal war das einfacher gesagt als in die Tat umgesetzt. Vor allem mit meinen diversen Problemchen - zu denen auch ein sehr vorlautes Gedankenstimmchen gehörte und dessen Urteil war ausnahmslos absolut vernichtend! Es ließ so schon kein gutes Haar an mir und wenn ich dann auch noch einen Fehler machte, dann brüllte es fast schon und höhnte mit verächtlichem Tonfall was für eine Idiotin ich doch sei. Autsch. Und auch jetzt raunte es mir spottend zu, dass es ja gern mal sehen würde, wie ich andere Leute ignorierte und einfach ausblendete. Wir wussten wohl beide - wenn mein neuer Bekannter es nicht auch schon ahnte - das dies wohl nie passieren würde... Deshalb seufzte ich im ersten Moment nur resigniert. Ich war eben jemand, der sich permanent um andere sorgte und sich Gedanken um dieses und jenes machte... um wenns und abers und was hatte man nicht alles gesehen. "Es würde wahrscheinlich vieles um einiges einfacher machen, wenn ich das könnte. Womöglich, werde ich es eines Tages lernen aber wenn es um mich selbst geht, kann ich anderen nicht die Meinung sagen oder sie ignorieren...", schief lächelnd verstummte ich wieder und blickte kurz nachdenklich aus einem der Fenster. "Aber ich danke dir trotzdem. Du hast es immerhin versucht und nur weil ich nicht der Typ bin, für so eine Haltung, war der Tipp trotzdem gut! Es is ja schließlich nicht gesagt, dass ich mir so eine Haltung nicht antrainieren kann, oder was meinst du?" Mit dem Ärmel meines Pullis rieb ich mir kurz über die Augen und setzte mich etwas anders hin. "Du bist auch noch nicht ganz so lange hier, oder?", zumindest meinte ich ihn noch nicht ganz so oft zu Gesicht bekommen zu haben. "Ich finde übrigens deine Tattoos cool... also das was ich davon zufällig mal gesehen hab."

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Kai.
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Kai. am 17.09.2021 22:50

Trotzdem ich sie angesprochen hatte, wirkte sie noch immer sehr weit weg. Doch ich nahm es ihr nicht übel – jeder hatte hier mit seinen eigenen inneren Problemen zu kämpfen und damit ging es zwangsläufig einher, dass wir uns endlos um solche Dinge drehten, uns nur schwer davon trennen konnten, deshalb aber auch die anderen immer wieder mal aus den Augen verloren. Es ging hier zwar darum, eben solche Muster zu brechen und umzudenken, einen anderen Weg zu gehen und etwas anderes wahrzunehmen als nur das eigene Innenleben. Doch ich konnte auch nicht leugnen, dass es mir mitunter selbst dann und wann – oder vermutlich auch öfter – genauso ging. Ich mochte zwar nicht auf die Weise psychisch erkrankt sein wie die anderen hier, aber ich hatte meine eigenen Probleme mit der Welt und meinem Kopf – das leugnete ich auch nicht.
Auch ich schenkte ihr ein sanftes Lächeln. Viele Bekanntschaften im eigentlichen Sinne hatte ich hier noch gar nicht gemacht. Ich hatte dann und wann mal mit jemandem gesprochen – leichtes Geplänkel eben –, aber so richtig hatte ich noch niemanden kennengelernt. Dabei sollte es doch ein zentraler Teil der Therapie und der Resozialisierung sein, sich auch mit den anderen hier „anzufreunden" und Beziehungen aufzubauen. Aber vermutlich eher in einem späteren Teil der Behandlung.
„Ja, na ja, wie gesagt...so gut ist der Tipp nicht...den gibt einen vermutlich jeder einmal, wenn es ‚gerade nicht so gut läuft'" Ich zeigte mit meinen Fingern beim letzten Teil Gänsefüßchen in der Luft und verdrehte halb die Augen. Ich war mir sicher, dass jeder das schon mal durchhatte, dass einem die Predigt gehalten wurde, sich einfach nichts sagen zu lassen, die anderen übergehen und ignorieren und seinen eigenen Weg gehen sollte. Da war etwas Wahres dran, sicher, doch am Ende handelte es sich dabei um eine Selbstverständlich, die Welt so zu behandeln – doch deshalb war es noch lange nicht leichter.
Wieder lächelte ich. „So richtig ist dafür sicher kaum jemand der Typ", erwiderte ich. „Vermutlich muss es sich jeder auf die eine oder auf die andere Art beibringen." Ich zuckte nachdenklich mit den Schultern. Es war schön, sich mal richtig mit jemandem unterhalten zu können – es ließ es einen zumindest halb vergessen, wo man sich hier befand...und weshalb man hier war. Genau deshalb war Sozialisierung und das Aufbauen von Beziehungen bei einer psychiatrischen Behandlung wohl so wichtig – doch was wusste ich schon, Psychologie war zwar ein Interesse von mir gewesen, doch nie eine sonderliche Stärke.
Kurz kramte ich in meiner Tasche und fand schließlich, was ich suchte: Ich hielt ihr eine Packung Taschentücher hin. „Hier." Sie müsste sie nicht nehmen, doch es war wohl ein Ding der Höflichkeit, ein Mädchen in ihren Tränen nicht allein zu lassen, nicht?
Und wieder, ein Lächeln. Sie hatte etwas sehr niedliches an sich. Es verstärkte die Erinnerungen an meine Schwester unweigerlich. Ich wandte mich für einen Augenblick ab und sah aus dem Fenster auf die umgebenden Wiesen. Ich schluckte und räusperte mich schließlich kurz. „Danke", schmunzelte ich und warf einen Blick auf meine Arme. Wenn ich ehrlich war, vergaß man sie zwischendurch einfach, hatte gar nicht mehr auf dem Schirm, dass sie da waren. Wie an so viele Dinge konnte man sich auch an sie gewöhnen – sie waren die erste Zeit über unglaublich cool und man konnte sich nicht satt sehen, aber bald gehörten sie zu einem wie alles andere auch; so wie meine Nase oder meine Lippen waren sie etwas, das mich zu dem machte, wer ich eben war. Sicher, sie waren immer noch cool und ich betrachtete sie sehr gern, doch zwischenzeitlich...waren sie einfach da und ich hatte sie nicht mehr bewusst vor Augen.
So sah ich sie auch jetzt wieder einmal nachdenklich an. Ich konnte mich noch an jedes einzelne erinnern, wie ich es bekommen hatte, unter welchen Umständen – und wie viel sie mich gekostet hatten, auch wenn ich kaum Geld gehabt hatte. Doch ich hatte sie so sehr gewollt, hatte so sehr ein Zeichen auf meiner Haut für mich und meine Überzeugungen und Gedanken setzen wollen. Damals waren sie eben das gewesen, was mich ausgezeichnet hatte...bzw. würden sie das sein...oder so. Zeitreisen bereitete einem echte Kopfschmerzen! Mittlerweile waren sie so ziemlich abgelöst worden – vom leichten Klicken meiner Schritte und dem glänzen Metall, das ich meine Beine nannte.
„Hast du denn irgendwelche Tattoos?", fragte ich schließlich. Auf den erste Blick konnte ich keine entdecken, doch das musste ja nicht der Wahrheit entsprechen – viele hatten sie, aber versteckt...an den Knöcheln, an den Handgelenken, auf Rücken und Bauch, an Schultern und Schlüsselbein – alles Körperbereiche, die nicht gleich und leicht einzusehen waren.

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Ella
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Ella am 27.09.2021 19:07

Bisher war ich den Großteil meiner Zeit, so damit beschäftigt gewesen mir Gedanken über dieses und jenes zu machen und hatte schon grundsätzlich angenommen, das hier sicher niemand auch nur einem meiner Worte glauben schenken - geschweige denn diesen auch nur die geringste Bedeutung beimessen würde! - sodass es mich schon regelrecht aus der Bahn geworfen hatte, von jemandem angesprochen worden zu sein. Es war jetzt nicht unbedingt das erste Mal aber die Unterhaltung machte so ziemlich zum ersten Mal irgendwie Sinn für mich... - Womit ich keinesfalls unterstellen wollen würde, dass meine anderen Mitpatienten nur Quatsch von sich gaben! Denn das Taten sie keineswegs, ich hatte Unterhaltungen bisher nur immer mehr oder minder höflich abgeblockt - Nicht gerade die netteste Art natürlich doch, bisher hatte ich doch eher zur Vorsicht tendiert. Was ich Matej gegenüber jetzt auch nicht unbedingt gänzlich aufgeben würde, auf keinen Fall! Aber, mich anderen mehr zu öffnen, hatte man mir schließlich nahe gelegt und ich würde es, dem Fortschritt in meiner Behandlung zuliebe gerne einmal versuchen. Von nichts kam ja bekanntlich nichts und den Rest meines Lebens wollte ich hier gewiss auch nicht zubringen, also wäre, meinen guten Willen zu demonstrieren, sicherlich nicht die verkehrte Taktik... Auch wenn es natürlich noch eine kleine Weile in Anspruch nahm, aus den Tiefen meiner Gedanken gänzlich "auf zu tauchen" und Matej meine tatsächlich volle Aufmerksamkeit zu schenken. Aber das war wohl okay, denn zumindest wirkte er gerade im Augenblick durchaus geduldig mit mir... Auch wenn es Wohl eher die Umgebung mit sich brachte, als das dies tatsächlich ein Zug seines Charakters sein musste, wusste ich es durchaus zu schätzen.
Und es war durchaus erstaunlich, dass er mich mit seiner Erwiderung auf meinen Dank für den Tipp tatsächlich zum Lachen brachte, obwohl Ich zuvor noch in Tränen aufgelöst gewesen war. Es tat aber durchaus gut zu Lachen, denn wenn ich ehrlich war, hatte ich den Klang meines eigenen Lachens schon fast vergessen und nur, weil man in einer psychologischen Einrichtung war, sollte man sich niemals nur auf die traurigen und schmerzhaften Erinnerungen und Erfahrungen konzentrieren - schließlich war ich an sich auch noch immer ein eher positiv eingestellter und optimistischer Mensch. Für den es Wohl höchste Zeit würde, wieder mehr zur Geltung zu kommen... Diesen kurzen Gedanken, würde ich in jedem Fall im Hinterkopf behalten. Doch jetzt, galt mein Fokus doch eher dem Hier und Jetzt, somit also meinem Gegenüber und dem Gespräch. Oder auf die beginnende Unterhaltung, wie auch immer man das nun auch werten wollte. Ein Fehler war es in jedem Fall nicht, besonders da Kontakte zu knüpfen ja zum Konzept der Behandlung gehörte und sich hier alleine irgendwie durchzukämpfen also weder wünschenswert noch sonderlich zielführend war. Außerdem hatte er bei mir durchaus einen ziemlich sympathischen Eindruck hinterlassen - auch wenn man den Leuten natürlich in der Regel immer nur vor den Kopf schauen konnte. Aber mehr war ja auch nicht meine Aufgabe und schließlich hatte jeder doch ein gewisses Recht auf Privatsphäre und die würde Ich, selbst wenn ich in anderer Leute Köpfe schauen könnte auch immer wahren und respektieren würde. Doch, darum ging es schließlich auch gerade überhaupt nicht. Weshalb ich auch eher darüber nachdachte, ob ich mir diesen "Tipp" schon einmal hatte anhören müssen... Ich war mir da eigentlich ziemlich sicher, kam im ersten Moment aber einfach nicht drauf. Es würde mir früher oder später sicher wieder in den Sinn kommen, manchmal stand man eben einfach auf dem Schlauch... Da ich jetzt aber nicht unbedingt davon ausging, das dies jetzt unsere einzige Unterhaltung sein würde, war das auch nicht unbedingt schlimm. Und selbst wenn es für eine Weile die einzige Unterhaltung wäre, ging ich jetzt nicht unbedingt davon aus das er sich urplötzlich in Luft auflösen würde, sah ich das Recht entspannt. Kurz wiegte ich nachdenklich den Kopf hin und her, ehe ich mit einem schulterzucken nickte. "Zwar kann ich mich gerade nicht mehr daran erinnern aber Ich, bin fast sicher das ich den Tipp schonmal gehört hab. Auch wenn es Wohl eher unter die Rubrik Kalenderweisheit oder so ähnlich fällt... Immerhin ist sowas schnell und einfach gesagt aber es ist eben...", kurz überlegte ich. "...keine tatsächliche Hilfe. Denn klar, müssen wir alle irgendwann unseren eigenen Weg finden und gehen. Aber das kann einem niemand abnehmen, jeder muss für sich selbst ausloten, wie viel "Scheiß-egal-Haltung" und antrainierte "Selbstsucht" für Ihn oder Sie passt und reicht. Denn schlecht oder wie jemand, der man nicht ist, sollte man sich auch nicht fühlen.", fügte ich schließlich nachdenklich hinzu. Ja, in meinen Ohren klang das durchaus sinnvoll und irgendwie richtig. Und ich gab ihm durchaus Recht: So wirklich war wohl niemand unbedingt der Typ für sowas. Manch einem fiel es vielleicht irgendwann, irgendwie eventuell leichter, sich eine solche Haltung zuzulegen aber am Anfang war es sicher für jeden eine Überwindungs- und Übungssache. Dankend nahm ich schließlich die Taschentücher entgegen, nahm mir eines heraus und gab ihm die Packung wieder zurück. Zwar ging ich jetzt nicht automatisch davon aus, das er die Taschentücher selbst einmal gut gebrauchen könnte, doch erstens wusste man schließlich nie und zum anderen, wollte ich ihm auch nichts weg nehmen. Zumal ich in meinem Zimmer selbst noch genug Taschentücher hatte und nicht wusste, ob dies seine einzige Packung war...
Es war verblüffend, denn obwohl wir uns heute zum ersten Mal unterhielten und ich ihn definitiv nicht kannte, strahlte Matej für mich etwas vertrauenswürdiges und irgendwie etwas fürsorgliches und brüderliches aus. Wie eine Art großer Bruder - dabei wusste ich weder ob er Geschwister hatte, noch, ob er im wesentlichen sehr viel Älter als ich war... Tatoos konnten in dieser Hinsicht durchaus manchmal irreführend sein. Aber es spielte eigentlich auch nicht wirklich eine Rolle, oder? Was nicht heißen sollte, das es mich nicht Interessierte, denn das tat es durchaus. Nur, hielt mich ein unbewusstes und unbestimmtes Gefühl davon ab, gerade danach zu fragen. Ich würde mir das für einen späteren Zeitpunkt im Hinterkopf behalten. Wobei dieses Gefühl eigentlich gar nicht so unbestimmt war, denn ich war mir ziemlich sicher das dieses Gefühl, mit dem kurzen Moment zu Tun hatte in dem Matej seinen Blick abgewandt und zum Fenster hinaus gesehen hatte... Ich hatte es wahr genommen und mir gemerkt aber den aktuellen Verlauf des Gesprächs wollte ich für den Moment nicht unterbrechen und ihm seine Privatsphäre lassen. Was in meinen Augen für den Anfang kein Fehler, denn wir begannen ja gerade erst damit eine Art von freundschaftlicher Beziehung aufzubauen, da musste man ja wohl nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen! Stattdessen beobachtete ich schweigend wie er sich seine tätowierten Arme nach meiner Bemerkung zu ihnen noch einmal besah. Mit Sicherheit gäbe es eine Geschichte dazu, die er mir natürlich nicht erzählen musste, aus eigener Erfahrung wusste ich nur, das die meisten Tattoos eine Geschichte hatten. Entweder eine die sie auf gewisse Weise erzählen sollten oder eben eine wieso ihr Träger oder ihre Trägerin sich für sie entschieden hatten - in manchen Fällen auch eine Mischung aus beidem...
Kurz dachte ich unwillkürlich über meine eigenen Tatoos nach und was sie für mich bedeuteten... Natürlich erinnerte ich mich noch an jedes einzelne, denn auch wenn ich jetzt nicht so viele Tatoos hatte, so standen doch fast alle für das Ende eines bestimmten Abschnitts in meinem Leben. Und in den allermeisten Fällen war ich heilfroh über den Abschluss dieses Abschnitts gewesen. Doch diesen Gedanken wollte ich jetzt nicht wirklich sonderlich gerne zu Ende führen und dabei ihn abzuschütteln, half mir Matej's Frage sogar. Zwar ging es noch immer um meine Tattoos aber er wollte schließlich nur Wissen ob ich auch welche hatte und nicht nach dem Grund dafür das ich sie hatte. Also nickte ich mit einem sachten Lächeln. "Ja ich hab ein paar Tatoos, die meisten sieht man nicht weil ich meistens lange Pullis oder Shirts trage. Aber ich hab eins auf dem Rücken, eins an der Seite also mehr eigentlich so auf Höhe des linken Brustkorbs und eins auf der Hand, also am kleinen Finger. Aber es ist so klein, das man es fast nicht sieht und meist auch nur wenn man weiß, das es da ist... und zu einem kam ich noch nicht aber es ist in meinem Kopf schon geplant...", endete ich schließlich ein wenig kleinlaut und beinahe verschämt. Denn in der Regel sprach ich nie über sie, denn immerhin waren die Tatoos nur für mich und ich zeigte sie eher nicht offen... Aber hey irgendwann war eben immer das erste Mal und es hatte auch in gewisser Weise etwas befreiendes sie nicht tot zu schweigen. "Hast du denn noch mehr Tatoos außer auf den Armen?", fragte ich durchaus interessiert. In der Zwischenzeit hatte ich mir auch mit dem Taschentuch über die Augen gewischt. Hielt es aber noch immer in der Hand.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 28.09.2021 10:34.

Kai.
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Kai. am 07.11.2021 00:28

Sie hing ihren Gedanken einen Moment lang wieder stark nach, wie es mir schien – und ich ließ. Sie war nicht die erste, die mir hier auffiel, die diese Eigenschaft mit sich brachte; es schien sich bei diesem Verhalten um einen Zug zu handeln, den hier viele teilten. Doch es würde mich auch wundern, wenn es nicht so wäre. Wenn es einem nicht gut ging, hatte man doch immer den Hang, sich zurückzuziehen und für sich selbst in seinem eigenen Geist zu verweilen – und hier ging es nun auch noch um die mentale Gesundheit. Keiner der hier Anwesenden besaß also einen solchen Charakterzug nicht. Die einen hatten davon allerdings mehr als andere – denn die meisten scheuten sich sogar vor ihren eigenen Gedanken und den Dingen, denen sie sich wohl stellen müssten, wenn sie an diesen Ort zurückkehrten. Doch solches Verhalten zog am Ende dann die nächsten Probleme nach sich – denn was konnte man tun, um nicht nachdenken zu müssen? Genau, man schaltete den eigenen Kopf einfach auf stumm. Und so verfielen sie Drogen oder anderen Süchten, aus denen sie sich nicht mehr selbst befreien konnten. Die Köpfe waren ausgeschalten, doch sie hatten wieder neue Probleme – und auch wegen denen fanden sie sich schlussendlich mitunter an solchen Orten wie diesen hier wieder. Und dann hatten sie sich auf einmal noch sehr viel mehr Dingen zu stellen
Ich schmunzelte schließlich. „Nein, daran musst du dich auch ganz sicher nicht erinnern", erklärte ich und schüttelte leicht den Kopf. „Immerhin hast du recht. Solche Sprüche findet man wohl in jedem Poesieheft und auch in irgendwelchen Kalendern. Oder in Zeitschriften mit ‚Lebensweisheiten'" Solche und ähnliche Sprüche hörte und las man in seinem ganzen Leben vermutlich unzählige Male – und man konnte sich nicht richtig wehren, aber sie kamen einem dann und wann sogar einmal selbst über die Lippen. Und trotz allem konnte man nicht leugnen...sie hatten etwas an sich, das einen so etwas wie Hoffnung verspüren ließ. Sie ließen etwas in einem aufkeimen und so sehr man auch die Augen verdrehen und sagen wollte ‚Ja, wenn das mal so leicht wäre', so sehr musste man auch zugeben, dass sie etwas in einem berührten und in Bewegung setzten. Sicher, sie konnten einem nicht wirklich helfen, doch mittlerweile meinte ich zu verstehen, dass sie das auch gar nicht sollten, nein, aber sie sollten einen dazu animieren, umzudenken, die Welt anders zu sehen und uns selbst zu verändern. Das war von einem kleinen Satz, den man an einem Morgen in Monat nach dem Abreißen des letzten Tages zwar sehr viel verlangt, doch bereits kleine Dinge konnten sehr viel in uns bewegen und berühren – und konnten so zu großen Taten anregen. Vielleicht sah ich das Ganze auch etwas zu idealistisch, doch wer mit einem kleinen Quälgeist daheim aufwuchs, der trotz dem Chaos und den dystopischen Zuständen, in denen man sich durch das Leben kämpfen musste, noch an die Avengers glaubte und sie vergötterte, der wurde vermutlich etwas idealistisch und gar naiv gegenüber der wirklichen Welt.
Nachdenklich sah ich auf die Packung Taschentücher, sie wieder zwischen uns auf den Tisch legte. Ich zog sie zu mir heran und hielt es weiterhin in meiner Hand zwischen meinen auf der Tischplatte vor mir verschränkten Armen.
Schließlich nickte ich. „Sicher, jeder muss diesen Weg für sich selbst finden – aber Fakt ist am Ende dennoch, dass man sich von anderen diesen Weg niemals vorschreiben lassen sollte." Und so leicht das auch klang, so einfach solche Sprüche es einem machten, daran zu glauben, dass man sich selbst so schnell ändern konnte, so war es nicht. Aber das machte diese Worte nicht wertlos. Sie waren auf keinen Fall leer und unbedeutend, im Gegenteil, man musste ihren tieferen Sinn nur anders wirken lassen – es waren keine Zaubersprüche, die einfach die Welt veränderten und alles war schön, das musste man schon selbst tun, aber dafür musste man sich von ihnen erst einmal anleiten und bewegen lassen.
Nachdenklich strich ich bald darauf mit den Händen über meine Tattoos. Ja, sie waren schon etwas Schönes. Und so sehr man sich auch an sie gewöhnte – und so normal es für einen schnell war, so auszusehen, so eindrucksvoll war es doch für die, die einen zum ersten Mal sah. Dann erkannte man doch immer, dass man anders aussah – natürlich, für mich selbstverständlich, nur auf eine gute. Dann nickte ich. „Es ist immer gut, schon Ideen zu haben." Ich lächelte. Doch ich zögerte noch etwas. Ich hatte eine Frage auf der Zunge, doch ich traute mich nicht, sie sofort zu stellen, so sehr es mich auch interessieren mochte. Am Ende konnte ich mich jedoch tatsächlich überwinden und ergriff das Wort. „Darf ich denn fragen, was das dann für Motive sind?" Ich wollte ihr wirklich nicht zu nahe treten und sie musste auch gar nicht mit irgendwelchen Bedeutungen anfangen, doch ich sah gern auch andere Motive und Bilder – zum einen war das sehr inspirierend und zum anderen fand ich immer sehr faszinierend, wie unterschiedlich da die Stile waren und woraus sich eben das ergab; von der Hand und der persönlichen Art des Künstlers, aber auch durch die Wünsche und Ideen des zu Stechenden beeinflusst und erschaffen. Keine Form glich der anderen und keine Motiv und kein Bild war wie ein anderes – und nichts wurde wiederholt. Die Kunst der Tattoos war eine ganz besondere.
„Äh", setzte ich einen Augenblick später an. Mehr um etwas Zeit zu gewinnen, ehe ich antwortete, weil ich ihre Worte in meinen Gedanken nicht vollkommen gehört hatte. Doch dann verstand ich. Ich nickte, ehe ich etwas unsicher lächelte. „Ja klar, zum einen, und nein zum anderen", gestand ich und wunderte mich nicht, sollte das Verwirrung bei ihr auslösen. „Ich habe am Bauch und an den Seiten noch mehr Tattoos und auch auf dem Rücken." Ich machte eine kurze Pause, zögerte, ehe ich weitersprechen konnte. Ich drehte mich kurz auf dem Stuhl zur Seite, streckte ein Bein aus, sodass sie es sehen konnte. „Und ich hatte noch viele an den Beinen. Aber die sind leider Geschichte." Ich zuckte leicht mit den Schultern. Ändern konnte es ich sowieso nicht mehr. „Es tut nur immer etwas weh, darüber nachzudenken", gestand ich ihr aber ehrlich. „Weil auch diese Motive natürlich persönliche Bedeutung für mich hatten und ich sie jetzt wohl nie wieder sehen – nur die Skizzen auf Papier, die damals gemacht wurden, als ich sie habe stechen lassen..." Ich biss kurz die Lippen zusammen. Manchmal war es schon böse, was das Leben mit einem veranstaltete. Es waren eben doch nicht nur Bilder unter der Haut, wie ich auf diese Weise immer wieder feststellte. Also drehte ich mich wieder, um die Beine wieder unter den Tisch zu ziehen. Genug davon. „Woran hast du denn so gedacht, wenn ich fragen darf?"

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Ella
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Ella am 02.01.2022 13:56

An sich war es sicherlich kein Fehler sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzten - denn immerhin ging es an einem Ort wie diesem hauptsächlich darum: Seine Probleme zu erkennen, sich damit auseinander zu setzen und an diesen zu arbeiten. Allerdings fiel das den meisten Leuten schwer oder sie wollten es erst gar nicht und hatten sich deshalb Vermeidungsstrategien dafür gesucht. Was durchaus legitim war und ich hatte auch vollstes Verständnis dafür, denn immerhin hatte ich mich jahrelang auch immer nur beschäftigt gehalten und je komplexer und schwieriger die Aufgaben gewesen waren umnso besser! Denn wenn man seine ganze Aufmerksamkeit für das brauchte was man gerade machte, dann blieb einfach kein Raum für kreisende Gedanken. Natürlich hatte ich mit dieser Taktik früher oder später nicht mehr weiter kommen können... Der Nervenzusammenbruch den ich erlitten und der mich hierher gebracht hatte bewieß das ziemlich Eindrucksvoll. Dabei hatte ich bis auf die gelegentliche Selbstverletzung nicht einmal eine sonderlich "schädliche" Vermeidungsstrategie gewählt und mich nicht irgendwelchen Süchten hin gegeben. Was es wohl auch irgendwie leichter machte, zumindest was die Therapie anging - denn ich hatte mich zu Anfang zwar auch ziemlich verschlossen und nicht mit mit Dr. Stevens reden und arbeiten wollen, denn wenn einem ohnehin niemand glauben schenkte, welchen Sinn sollte es denn dann auch haben? Nicht das die Psychologin so deutlich hatte erkennen lassen, dass sie Zweifel an meinen Erzählungen gehabt hatte, hatte ich es einfach gespürt. Nach einer mehr als unangenehmen Untersuchung und einigen sehr einseitigen, vorangegangenen Unterhaltungen, hatte ich mein Schweigen dann schließlich gebrochen. Gut womöglich hatte meine Reaktion auf den Arzt und die Tatsache das ich geschrien und den Typen gebissen und wild um mich geschlagen und getreten hatte, meinen Worten eine gewisse Glaubwürdigkeit verliehen... Aber mit Sicherheit hatte man hier auch schon deutlich heftigere Reaktionen gesehen und, wenn ich mich schon so gesträubt hatte und zum Teil auch nicht einsah was ich hier sollte, wie schwer musste es dann anderen erst fallen? Die sich so lange "erfolgreich" vom Denken und der Konfrontation mit seinen Problemen gedrückt hatte? Ehrlich gesagt wollte ich mir das gar nicht vorstellen...
Statdessen galt mein Konzentration dann der Unterhaltung mit Matej und dachte einen Moment über seine Worte nach, wobei ich nicht umhin kam festzustellen das da durchaus etwas dran war. Denn natürlich konnten Ratschläge von anderen Personen und solche weisen Sprüche durchaus hilfreich sein oder eine gute Anregung sein. Doch am Ende musste man selbst eine Entscheidung treffen und seinen eigenen Weg finden um mit den Dingen umzugehen und fertig zu werden. Denn schließlich waren wir am Ende des Tages doch alle ganz unterschiedliche Menschen mit ganz individuellen Problemen und Persönlichkeiten, also konnten die Lösungen auch ganz unterschiedlich aussehen. Und die Entscheidung konnte einem niemand anderer abnehmen und es sollte auch keiner versuchen. Denn zumindest an diesem Ort waren immerhin alle Alt genug um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Okay gut ich selbst offiziell noch nicht ganz aber naja irgendwie hatte man in meinem Fall keine andere Möglichkeit. Denn die Frau vom Jugendamt bekam von mir keine Informationen über meine Eltern, egal wie sehr sie es versuchte und sich bemüht hatte. Und da ich für mich wohl immer noch die besten Entscheidungen treffen konnte - schließlich gab ich meiner Sachbearbeiterin nur die nötigsten Informationen und die noch nichtmal besonders bereitwillig - lag die vorübergehende Vormundschaft zwar bei der Jugendfürsorge aber die meisten Entscheidungen traf ich und sie stimmte nur zu. Mit Sicherheit entsprach das nicht gerade dem üblichen Vorgehen, allerdings befand man sich üblicherweise auch nicht unbedingt auf der Flucht vor seiner eigenen Familie schätzte ich jetzt einfach Mal... Doch das war jetzt nicht mehr wichtig, denn es war ein Teil meiner Vergangenheit. Wenn ich eines gelernt hatte an diesem Ort und mir eines geschworen hatte, dann das es um im Leben voran zu kommen wichtig war sich bewusst zu machen das man manchmal aus den Erfahrungen der Vergangenheit, die Kraft und den Mut ziehen konnte um vorwärts zu gehen. Positiv in die Zukunft zu sehen und das man sich erst mit seiner Vergangenheit beschäftigen und mit dieser abschließen musste um ganz ohne Ballast in die Zukunft zu starten. Und genau das war es doch was ich wollte und zwar mochte der Preis hoch sein, noch einmal durch die Hölle zu gehen und meinen ganzen Mut zusammen zu nehmen um so offen wie noch nie zuvor über alles zu sprechen was in den 12 Jahren geschehen war. Kurz konnte ich mir ein leises Seufzen nicht verkneifen, lächelte aber wieder als ich endlich auf seine Worte einging. "Es ist definitiv wichtig das man sich von anderen da nicht reinreden und sich seinen Weg nicht vorschreiben lässt. Das ist ganz entscheidend für den Heilungsprozess, wie Dr. Stevens nicht müde wird zu betonen." Diesen Worten folgte ein schiefes Lächeln meinerseits. "Anfangs fand ich das immer richtig dämlich und wollte sowieso nichts mit dem Haus hier und den Therapeuten und überhaupt allem hier zu tun haben. Aber irgendwann hab ich erkannt das in dem ganzen hier eine Chance verborgen liegt. Die man nur zu Nutzen wissen muss auch wenn das alles niemals funktioniert hätte, wenn ich nicht irgendwann selbst den Willen aufgebracht hätte an mir zu arbeiten." Ohne das man etwas ändern wollte, würde sich auch nur schwer etwas ändern lassen. Näher über die ganze Sache nachdenken wollte ich jetzt aber auch nicht mehr und legte das Taschentuch endgültig beiseite. Denn nach weinen war mir nun definitiv nicht mehr.
Aufmerksam betrachtete ich meinen Gegenüber und beobachtete wie er seine Tatoos erneut betrachtete, fragte mich was ihm dabei wohl durch den Kopf gegangen sein mochte. War gedanklich zugleich aber ein wenig abgelenkt weil ich über meine eigenen Tatoos nachdachte, sowohl über die, die ich bereits hatte als auch die, die bisher nur in meinem Kopf existierten. Schließlich ergriff ich wieder das Wort und versuchte seine Frage zu beantworten. "Ich habe vor mir ein relativ großes Tatoo am Rücken stechen zu lassen um mich daran zu erinnern, dass es manche Leute nicht Wert sind Zeit und Liebe an sie zu verschwenden... Und dann habe ich an ein Tatoo am Arm gedacht, in Form eines Pfeiles. Weil ich gelernt habe das die einzige Richtung in die man gehen kann und sollte Vorwärts ist. Ein Pfeil muss aber erst zurück gezogen werden, damit er vorwärts kommen kann. Was viel mit psychischen Problemen gemein hat - besonders mit meinen eigenen Problemen. Und ich musste auch erst zurück gehen und mich diesen Stellen um Vorwärts zu kommen und eine Perspektive für meine Zukunft zu erkennen... Ich will mich also daran erinnern, dass der Weg zum Vorwärtskommen oft erst nach einem Schritt zurück kommt, es so aber auch vollkommen in Ordnung ist." Nach meinen Worten lächelte ich ein wenig schüchtern. "Aber das ist aktuell nur eine Gedankenspielerei und nichts BV esonderes."

Antworten Zuletzt bearbeitet am 15.02.2022 13:51.

Kai.
Gelöschter Benutzer

Re: Ella und Matej: You Don't Belong Here...

von Kai. am 18.03.2022 22:26

Nachdenklich beobachtete ich sie. Mittlerweile hatte ich mitbekommen, dass sie die Tendenz hatte, immer wieder in ihre Gedanke abzurutschen, wenn sie einmal in die Lage kam, sich über etwas Gedanken zu machen und zu überlegen, was sie selbst dazu sagen konnte und wollte. Doch das war an dieser Stelle wohl nichts Ungewöhnliches – den meisten hier ging es so. Und genau die Tatsachen, weil ihnen die Gedanken zu viel waren oder sie eventuell auch zu wenig waren oder gar durcheinander gingen, waren wir doch alle hier. Ich runzelte leicht die Stirn, während ich selbst einen Moment darüber nachdachte. Am Ende drehte sich so vieles in unserem Leben um unser Denken – und erst dann um das Handeln, das daraus resultierte. Und viele, die dachten zu wenig, manche dachten anders, und wieder andere dachten zu viel; grundsätzlich genau das, was uns Menschen jederzeit im Leben auszeichnete und voneinander unterschied, doch, wie bei allem gab es hier auch etwas Krankes und Zerstörerisches, bei dem man über die Strenge schlug. Für das perfekte Gleichgewicht gab es immer neben einem Durchschnitt auch ein zu viel und ein zu wenig...Aber je länger ich über diesen Umstand nachdachte, umso eigenartiges kam er mir vor. Deshalb schob ich ihn erst einmal beiseite und sah wieder zu Ella.
Schließlich schmunzelte ich. „Ja, das scheint ein einstudierter Text zu sein, den hier alle irgendwie verinnerlicht haben", erklärte ich und grinste eben so schief wie sie. Immerhin hatte auch ich ihn oft genug gehört. Doch es ließ sich natürlich nicht leugnen, dass da etwas Wahres dran war – so gern man das vielleicht auch getan hätte. Doch es stimme schon – andere konnten einen an die Hand nehmen und Anstöße geben, aber schlussendlich musste man selbst Motivation und Anstoß finden, um sich zu verändern und sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Das konnte einem niemandem abnehmen, so gern sich das alle Beteiligten gern manchmal wünschen würden. Kurz darauf neigte ich den Kopf etwas zur Seite und lehnte mich auf meinem Stuhl etwas zurück, wobei er leicht knarzte, meine Prothesen klickten. „Ich denke, diese Vorgeschichte haben hier alle irgendwie gemein", dachte ich laut nach. „Dass sie erst nichts wollten – nicht hier sein und auch nicht über das alles und sich nachdenken müssen, aber am Ende hat es dann Klick gemacht. Sicher nicht bei allen so nachhaltig, aber im besten Fall eben, na ja, dauerhaft, um es auch erhalten zu können, was man sich hier aufgebaut hat." Ich runzelte die Stirn. Das ging mir sicher nicht anders, auf eine gewisse Weise, auch wenn ich nicht so „krank" war wie die meisten anderen hier. Immer sprach ich nur die Wahrheit – mir wollte sie nur niemand glauben. Doch auf der anderen Seite machte wohl genau das die meisten psychischen Erkrankungen aus, oder nicht? Für jeden war seine Wahrnehmung die Wahrheit und er log nicht, auch wenn die allgemein empfundene Realität anders aussah. Am Ende entstand die Realität erst in unserem Kopf – und war abhängig von uns und unserer Persönlichkeit. Es gab wohl kein richtig oder falsch, sondern nur ein annehmbar und...nicht annehmbar. Ein Gedanke, der deutliches Unwohlsein in mir erregte – denn wenn man selbst die Realität nicht kannte...weil die eigene eine so vollkommen andere war...dann wusste man auch nicht, ob man selbst überhaupt recht hatte. Was war dann richtig, wann hatte man recht...? Nichts ergab mir mehr Sinn...
Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Nein, das konnte nicht nur Einbildung sein, das redete man mir nur ein, weil man mir nicht glaubte...Doch auch mit diesem Gedanken glich ich allen anderen Bewohnern in dieser Einrichtung. Denn die allermeisten würden wohl genau das auch sagen, wenn man sie danach fragen sollte.
Ich schluckte und zwang mich, mich auf ihre Worte zu konzentrieren, auf ihre Ausführungen zu den Tattoos zu lauschen und mich nicht mehr damit zu beschäftigen – das würde mich nur fertig machen und das wollte ich jetzt nicht, das konnte ich nun nicht gebrauchen, ganz und gar nicht. Und ich hatte sogar Glück, denn ihre Worte waren wirklich sehr interessant.
„Wow", sagte ich und nickte anerkennend. Das war eine sehr faszinierende Perspektive und eine noch außergewöhnlichere Umsetzung dieser Gedanke als Tattoo. Kurz ließ ich meinen Blick über meine eigenen Tattoos schweifen. „Das ist eine sehr interessante Sichtweise – und eine noch schönere künstlerische Umsetzung", sagte ich. Ich fand es immer wieder spannend, auf welche Ideen man gerade an dieser Stelle kam, wenn es um diese Kunst auf der Haut ging. So individuell und selbst ähnliche Inhalte wurden vollkommen unterschiedlich und außergewöhnlich interpretiert und dargestellt. „Solltest du die Tattoos irgendwann einmal bekommen, dann würde ich sie gern sehen...", bat ich dann. Es stand damit zwar die Frage nach dem Wie und Wann im Raum, doch die war mir an dieser Stelle im Grunde egal. Ich wollte es nur gern einmal auf der Haut sehen. Das war immer noch etwas anderes als der Gedanken an sich oder die Skizze auf dem Papier. Anschließend lächelte ich bekräftigend. „Ich bin mir sicher, dass es großartig aussehen wird."

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